2020, der Beginn einer neuen Dekade – wenn das kein Grund ist, in die Zukunft zu blicken! Wir haben mit dem Trend- und Zukunftsforscher Tristan Horx gesprochen, wohin aus seiner Sicht die Reise geht.
Mit welchem Gefühl gehen Sie in dieses neue Jahrzehnt?
Tristan Horx: Ich würde es als rebellischen Optimismus bezeichnen. Ich freue mich, dass wir jetzt in ein Jahrzehnt gehen, in dem auch meine Generation etwas zum Rebellieren gefunden hat. Ähnlich wie in den 1970er-Jahren haben wir auch jetzt eine Öko-Bewegung. Nur diesmal mit etwas mehr Nachdruck. Denn im Gegensatz zu den 70ern, in denen auch Themen wie die freie Liebe die jungen Menschen zur Rebellion angetrieben haben, geht es heute „nur“ um die Umwelt.
Ich freue mich auf diesen gesellschaftlichen Umschwung, der von meiner Generation und auch von der Generation danach getrieben ist. Obwohl ich persönlich nicht mehr wirklich an solche Generationsblöcke glaube. Wir haben jetzt schon die Generation Z. Was kommt danach? Wir sollten nicht mehr in Generationen denken. Das Alter ist heute mehr denn je eine Frage des Geistes, denn eine Frage des Körpers.
Führt uns die junge Generation in die Zukunft, und wie gehen die Älteren damit um bzw. ist es Zeit für die Generation Babyboomer, den Jungen Platz zu machen?
Wenn die Politik einerseits jünger und andererseits weiblicher wird, ist sie auch repräsentativer für die Gesellschaft. Ursula von der Leyen war Deutschlands erste weibliche Verteidigungsministerin, heute ist sie die erste Frau als Präsidentin der Europäischen Kommission. Auch das österreichische Verteidigungsministerium wird nun erstmals von einer Frau geleitet. Vor 30, 40 Jahren wäre das undenkbar gewesen.
Die sozialen Normen haben sich verschoben, und das halte ich für extrem wichtig. Auch in der „Fridays for Future“-Bewegung schwingt ganz stark mit, dass das alte System nicht mehr tragfähig ist. Es ist ein gutes Resultat einer Rebellion, wenn sich dann dort etwas verändert. Es sollte aber nicht alles verjüngt werden. Denn es gibt gewisse Denkmuster, die auf Erfahrung basieren. Daher ist das Zusammenspiel zwischen junger und alter Generation wichtig. Die Zukunft gehört schließlich uns allen.
Ist es ein Zeichen der Zeit, dass sich heute jüngere Menschen mit der Zukunft auseinandersetzen?
Früher hat man viel Lebenszeit gebraucht, sich genug Wissen anzueignen, um die Gegenwart und die Zukunft zu verstehen. Heute ist Wissen demokratisiert, die jüngeren Generationen sind gebildeter denn je. Und daher haben sie auch das Privileg, sich früher mit der Zukunft auseinanderzusetzen. Je mehr wir uns mit der Zukunft beschäftigen, umso besser navigieren wir auch in diese.
Zukunft ist Veränderung!
Was ist für Sie der Megatrend schlechthin, der uns in naher Zukunft beschäftigen wird – und was passiert mit der Digitalisierung?
Ökologie wird der prägende Megatrend für die nächsten zehn bis zwanzig Jahre sein. „Digitalisierung“ war das Wort der letzten zwanzig Jahre. Im Idealfall kommen wir dadurch, dass sich der gesellschaftliche Diskurs auf das Ökologische verschiebt, jetzt endlich in das postdigitale Zeitalter, in der wir den Begriff nicht mehr verwenden werden, weil es eh klar ist, dass wir die Technologie verwenden – gerade auch, um ökologische Lösungen zu finden. Das eine löst somit nicht das andere ab, sondern es ergeben sich Synergieeffekte.
Haben wir Menschen schon verstanden, wie wir die Maschinen zu unserem Vorteil nützen können oder dominiert uns noch die Angst davor, dass sie uns arbeitslos machen könnten?
Wir befinden uns gerade in der digitalen Korrekturschleife. Die nächste große, hoffentlich globale, Frage dabei lautet: Was machen wir mit den großen Monopolen, also Facebook, Google & Co. Dafür muss gesamtgesellschaftlich eine Lösung gefunden werden. Wie Filterblasen funktionieren und wie Zwischenmenschlichkeit verloren gegangen ist, das ist jetzt im Zeitgeist angekommen. Zum Beispiel ist das Thema „digitale Einsamkeit“ sehr stark im Diskurs.
Wir sind zwar immer mehr digital vernetzt, fühlen uns aber immer einsamer. Das zeigt deutlich, wie wir Digitalisierung verwenden müssen. Es reicht nicht nur, die Verbindungsfragen zu lösen. Auch die Beziehungsfragen müssen orchestriert werden. Jetzt gilt es, systemisch darauf Antworten zu finden. Die Tatsache, dass wir den Peak digital überwunden haben, nimmt vielen Menschen ein bisschen die Sorgen. Natürlich wird immer weiter digitalisiert, aber wir sind am gesellschaftlichen Höhepunkt angekommen. Es ist ja bei allen Technologien so. Am Anfang übertreiben wir es total, und dann kommt die Korrekturschleife. Hätten wir im Industriezeitalter die Korrekturschleife nicht gehabt, dann wären wir alle im Smog erstickt.
Welche Berufsfelder gewinnen in Zukunft an Bedeutung?
Wenn die Maschinen immer bessere Maschinen werden, dann müssen die Menschen auch immer menschlichere Menschen werden. Nehmen wir zum Beispiel den Bereich Pflege, der schon demografisch immer mehr an Bedeutung gewinnen wird: Es will in der Realität keiner von einem Roboter gepflegt werden. Die zwischenmenschliche Ebene wird noch lange nicht digitalisiert werden können.
Und wir müssen uns wirklich fragen, ob das überhaupt Sinn macht. Somit werden – abseits von Tätigkeiten im IT-Sektor – Berufe in Zukunft gefragt sein, die nicht von Maschinen wegrationalisiert werden können. Auch im Handel gibt es wieder eine Renaissance der zwischenmenschlichen beratenden Funktionen. Bei der Weiterbildung den Fokus auf zwischenmenschliche Kompetenzen zu legen ist bestimmt ein guter Weg für die berufliche Zukunft.
Erlebt nicht auch das Handwerk eine Renaissance?
Absolut. Der Wandel wird sich sicher weiter von der Quantität zur Qualität bewegen – auch der gegenwärtige Trend zum Minimalismus und zu individualisierten Produkten, die ja letztlich auch Konsumlösungen im Sinne der Umwelt sind, kommt dem entgegen.
Gerade das Handwerk wird daher eine Renaissance erleben. Ein handgefertigter Schuh, den man nicht wegschmeißt, sondern der nach Jahren noch repariert werden kann, hat nicht nur eine Geschichte, die Stoff für jeden Smalltalk bietet.
Er ist ein Beispiel für eine Kulturform, die wir bereits haben, um unsere ökologischen Probleme zu lösen. Am Ende des Tages wird der Konsument diese Entwicklung treiben.
Wie weit macht es für jeden von uns persönlich Sinn, in Zeiten der ständigen Veränderung in die Zukunft zu schauen?
Wir wollen alle die Zukunft verstehen, weil wir ursprünglich Beutetiere sind. Für Steinzeitjäger war es einmal eine sehr gute Fähigkeit, prognostizieren zu können, ob ein Säbelzahntiger vor der Höhle lauert.
Dies hat wohl Spuren im kollektiven Gedächtnis der Menschheit hinterlassen. Heute hat man das Gefühl, weil eben alles so schnell geworden ist und ständig neue Informationen auf uns hereinprasseln, dass wir Probleme damit haben, die Gegenwart zu analysieren.
Wenn man aber nicht einmal die Gegenwart wirklich versteht, wie soll man dann Zukunftsprognosen für sich schaffen? Daher ist es meiner Meinung nach wichtig, dass wir unser Bewusstsein für die Gegenwart und die Zukunft schärfen. Das gilt für individuelle Personen genauso wie für Unternehmen.
Nur wer ein sinnvolles Abbild der Gegenwart hat, schafft eine Prognose für die Zukunft. Mit Sicherheit auf die Zukunft zu hoffen ist Zeitverschwendung. Besser ist es, die Gegebenheiten zu kennen, sie zu akzeptieren und zu lernen, mit Unsicherheiten umzugehen.
Noch mehr Prognosen gefällig?
Auf seiner persönlichen Website sorgt Tristan Horx in seinem Podcast „Treffpunkt:Zukunft“ regelmäßig für einen kritischen, aber auch optimistischen Blick auf die Zukunft. Zudem ist er Co-Autor der aktuellen Ausgabe des Zukunftsreport 2020. In seinem Artikel „Our Fucking Future“ lässt er seinem zorniges Lebensgefühl als Millennial in den wilden Zeiten des Klimakonflikts freien Lauf – allerdings sehr versöhnlich.