Die Lehrlingsausbildung befindet sich im Wandel. Eine neue Generation von Lehrlingen wächst in einem krisenbehafteten und zunehmend digitalen Umfeld heran. Was bedeutet das für Ausbilder:innen? Wie kommt die Generation Alpha in ihren Lehrberufen zurecht? Das haben wir eine gefragt, die es wissen muss.

Susanne Vietz ist Expertin für Lehrlingsausbildung. Sie arbeitet als psychologischer Coach, Trainerin und Generationenübersetzerin. Ihre Schwerpunkte sind Generationenkonflikte und Persönlichkeitsentwicklung. Die Vorurteile und die damit verbundenen Konflikte zwischen Lehrlingen und Ausbilder:innen kennt sie wie ihre Westentasche. Das kommt nicht von ungefähr: Sie hat selbst eine Lehrausbildung durchlaufen und ist 2009 mit „Lehre mit Matura“ gestartet – laut eigenen Angaben, weil ihre Mutter so hartnäckig war. Wie man mit den Jugendlichen von heute am besten umgeht, haben wir sie im Interview gefragt.

Interview: “Einfach mal fragen: Wie geht es dir eigentlich?”

WIFI-Blog: Was sind aktuell für Betriebe Herausforderungen im Bereich der Lehrlingsausbildung?

Susanne Vietz: Die größte Herausforderung ist das Finden von passenden Lehrlingen. Wir haben da ein Ost-West-Gefälle. Zum Beispiel könnte in Salzburg jede:r Jugendliche aus fünf verschiedenen Lehrstellen wählen. In Wien ist das Verhältnis umgekehrt. Trotzdem ist es nicht leichter, junge Menschen zu finden, die zum Unternehmen passen. Die nächste Herausforderung besteht dann darin, die Lehrlinge zu halten.

WIFI-Blog: Sie bezeichnen sich als Generationenübersetzerin. Was macht die aktuelle Lehrlingsgeneration aus?

Susanne Vietz: Grundsätzlich unterscheidet die Generation Z – oder mittlerweile die Generation Alpha, dass sie in einer ganz anderen Wirtschaftslage groß werden. Man sagt den Jungen gerne nach, dass sie Dinge nicht zu schätzen wissen. Das kommt ja nicht von ungefähr. Niemand muss sich in Österreich Gedanken machen, woher morgen das Essen kommt. Das war früher anders. Was außerdem dazu kommt: Social Media. Die jungen Menschen bekommen mehr mit, was auf der Welt passiert. Das erzeugt große Unsicherheit. Was passiert in den nächsten zwei Jahren? Deshalb leben die Jugendlichen sehr im Moment.

WIFI-Blog: Wie gehe ich als Ausbilder:in auf diese Gefühle ein?

Susanne Vietz: Am besten holt man Jugendliche mit den einfachsten Dingen ab: dass man sich Zeit nimmt und einfach mal mit ihnen spricht. Umso digitaler wir werden, desto mehr glauben wir alles in digitalen Prozessen darstellen zu müssen. Viel wichtiger wäre aber mal zu fragen: Wie geht es dir eigentlich?

Früher war es außerdem so, dass die Älteren bestimmt haben, wo es lang geht. Auch das hat sich geändert. Jugendliche wollen gehört und gesehen werden. Am besten geht man auf sie ein, in dem man ihnen auf Augenhöhe begegnet. Es wäre eigentlich so einfach.

WIFI-Blog: Schließlich hat man als Ausbilder:in auch noch seinen eigenen Berufsalltag zu bewältigen.

Susanne Vietz: Ich war selber Ausbilder:in. Wenn ich noch operativ tätig bin und mehrere Lehrlinge betreue, ist das nicht so einfach. Dann muss ich herausfinden, wie ich bei den einzelnen Lehrlingen andocken kann. Schließlich ist jeder Jugendliche verschieden. Das braucht Fingerspitzengefühl. Gerade beim Thema Führung und Generationen geht es auch in Zeiten der Digitalisierung darum, sich auf Grundlegendes zu konzentrieren: unsere Menschlichkeit.

WIFI-Blog: Gibt es Berufe, die von Lehrlingen stärker nachgefragt werden als andere?

Susanne Vietz: Es tun sich Branchen schwer, die die Lehrlingsausbildung in den letzten Jahrzehnten nicht so ernst genommen haben. Oft sind Lehrlinge leider wie besonders günstige Arbeitskräfte behandelt worden. Zum Beispiel bezahlt der Tourismus gerade den Preis dafür. Wobei ich betonen möchte: Es gibt wahnsinnig tolle Tourismusbetriebe, die eine super Lehrlingsausbildung haben. Aber auch die kämpfen mit dem Image der Branche.

Außerdem gibt es ein Stadt-Land-Gefälle. Es gibt Branchen, die am Land super funktionieren, wie das Handwerk, die in der Stadt Probleme haben. Aber allgemein ist das schwer zu sagen. Wenn Unternehmen eine tolle Ausbildung bieten, fachlich und persönlich, spricht sich das natürlich herum. Das funktioniert sehr stark über Mundpropaganda.

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“Macht nur Dinge, die zu euren Werten passen!”

WIFI-Blog: Gibt es noch immer große Unterschiede zwischen den Geschlechtern, z.B. bei der Berufswahl?

Susanne Vietz: In diesem Bereich kämpfen wir nach wie vor mit Stereotypen. Jedoch sind vom Stereotypendenken weniger die Jugendlichen, sondern eher die Eltern betroffen. Der Weg geht jedoch auf alle Fälle in die richtige Richtung. Jugendliche sollen tun, was ihrer Leidenschaft entspricht, egal, ob sie männlich, weiblich oder divers sind. Aber es dauert, Stereotypen aufzubrechen.

WIFI-Blog: Stichwort Lehre mit Matura: Würden Sie diesen Weg für Jugendliche empfehlen? Sie sind ja selber diesen Weg gegangen.

Susanne Vietz: Wenn mich Jugendliche fragen, ob sie Lehre mit Matura machen sollen, frage ich sie zuallererst, wie es ihnen in der Schule ging. Wenn es da gut lief, steht natürlich auch der „Lehre mit Matura“ nichts im Weg. Für falsch halte ich, wenn Betriebe sagen: „Lehre mit Matura“ ist ein Muss. Es ist nämlich kein Weg für alle, denn er geht mit einem großen Zeitaufwand einher. Wer lernen will, braucht das Interesse dafür und braucht die Motivation, auch am Samstag zu lernen. Wenn sich jemand mit dem Lernen schwer tut, sollte man die Person auch nicht überfordern. In den letzten 15 Jahr sind jedoch Basismodule und Aufnahmetests eingeführt worden, weshalb die Drop-out-Quote mittlerweile relativ gering ist.

WIFI-Blog: Jugendliche brauchen also die Motivation dafür.

Susanne Vietz: Ich sage oft zu den Lehrlingen: Der einzige Mensch, für den du das machst, bist du selbst. Nicht für die Lehrer:innen oder den Lehrbetrieb. Das ist auch eine Frage der Reife. Deshalb beginnen viele erst mit 20, 21, 22 mit der Berufsreifeprüfung. Denn aus entwicklungspsychologischer Sicht ist klar: In dieser Zeit passieren viele andere Dinge nebenher. Fast jeder Lehrling ist während der Lehrzeit zum ersten Mal verliebt. Sie wollen den Führerschein machen und mit Freunden ausgehen.

WIFI-Blog: Welche Botschaft würden Sie Betrieben gerne mitgeben?

Susanne Vietz: Betrieben würde ich sagen: Macht nur Dinge, die zu euren Werten, Mitarbeiter:innen und zu eurem Unternehmen passen. Sonst ist es einfach nicht authentisch. Denn Jugendliche spüren das. Sie wissen: So wie sich der Betrieb nach außen verkauft, ist er gar nicht. Es ist wie bei Tinder: Wenn man sich im Profil als supersportlich gibt und es gar nicht ist, wird man mit den potenziellen Partner:innen nicht glücklich. Betriebe sollten offen sein und nicht zu sehr beschönigen. Das sind die Jugendlichen nämlich von Social Media gewohnt.

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Foto: Privat