Gekündigt nach langjähriger Berufstätigkeit: Dieses Schicksal teilten 2020 viele Menschen mit Andreas Stollnberger. Der ehemalige Geschäftsführer in einem Lebensmittelkonzern schneiderte sich eine neue berufliche Zukunft – als Modemacher im Atelier Stollnberger.
Insgesamt 18 Jahre war Andreas Stollnberger bei einem großen internationalen Lebensmittelkonzern beschäftigt. Lange Zeit im klassischen Finanzbereich, und in den letzten acht Jahren als Geschäftsführer (CFO) der konzerneigenen Medienbereiche (darunter der Verlag für Corporate Publishing, das Instore Radio und die eigene Werbeagentur). Interne Umstrukturierungsmaßnahmen führten zu einer Entscheidung, die den 44-jährigen Wiener völlig unvorbereitet traf: Er wurde gekündigt.
„Im Gespräch selbst reagierte ich sehr gefasst. Erst zuhause nahm ich mir den Raum, mich mit dieser Verletzung – und eine Kündigung ist immer verletzend – auseinanderzusetzen“, schildert Stollnberger. Meine Stütze war mein Mann Arshan, der mir riet, mir endlich meinen lang ersehnten Taum zu erfüllen, so Stollnberger. Noch am selben Abend folgte eine weitere Erkenntnis: Die ausgesprochene Kündigung nahm Andreas Stollnberger eine Entscheidung ab, die er zu einem späteren Zeitpunkt wahrscheinlich ohnehin selbst getroffen hätte.
Mit Leidenschaft zum Schneider
Der studierte Wirtschaftswissenschafter und Wirtschaftspädagoge hatte nämlich eine Leidenschaft: die Schneiderei. Schon in der Schule lernte er nähen, und viele Jahre später als erwachsener Mann wollte er es genau wissen: „Bei der Schwester meiner Tante, eine Schneiderin, lernte ich das Schnittzeichnen.“ Das Kleidermachen fesselte ihn dermaßen, dass er sich in seiner Wiener Wohnung ein Modeatelier einrichtete und dort in seiner Freizeit Abend- und Hochzeitskleider entwarf. Seine Kreationen waren beispielsweise auf der Hochzeitsmesse „Trau dich“, aber auch bei internationalen Modeschauen zu bewundern. „Meine Entwürfe machte ich in dieser Zeit aber nur für ein überschaubares Klientel, die sich ein individuelles, maßgefertigtes Kleidungsstück wünschte“, so Stollnberger.
Wann immer es seine Zeit erlaubte, bereitete sich Stollnbergeer auch auf die Meisterprüfung zum Damenkleidermacher vor: „Ich nahm bei verschiedenen erfahrenen Meisterinnen Unterricht, zum Beispiel bei der Innungsmeisterin Patrizia Hildegard Markus oder auch bei Veronika Zwerger von der Modewerkstatt Zwerger. Und ich absolvierte den fachlichen Teil der Meisterprüfung und den Vorbereitungskurs für die praktische Prüfung.“ Die beiden Module Ausbilderprüfung und Unternehmerprüfung der aus fünf Modulen bestehenden Meisterprüfung wurden Stollnberger aufgrund seiner beiden absolvierten Hochschulstudien angerechnet. Die Ablegung der Prüfung für den praktischen Teil der Meisterprüfung schien aber – vor allem neben seinem Job – eine sehr aufwändige und nur schwer überwindbare Hürde.
Veränderung wagen!
Neue Freiheit als Damenkleidermacher-Meister
Nach der Kündigung zur Mitte des Jahres 2020 kam in Andreas Stollnberger ein befreites Gefühl auf: „Mir wurde schnell bewusst, dass ich jetzt eigentlich machen konnte, was ich wollte.“ Und das tat er dann auch: Im Oktober des selben Jahres finalisierte er die Meisterprüfung zum Damenkleidermachermeister. „Im Rahmen dieser Meisterprüfung habe ich auch meine Lehrabschlussprüfung gemacht. Interessant ist nämlich: Man muss für die Meisterprüfung keine Lehre gemacht haben, sondern kann den Lehrabschluss im Zuge der Meisterprüfung nachholen.“ Optimal auf die Meisterprüfung vorbereitet hat sich Stollnberger im Rahmen eines WIFI-Vorbereitungskurses. „Der Kurs war sehr intensiv – dreimal die Woche, drei Monate lang. Aber dafür hatte ich ja nun ausreichend Zeit.“
Mit dem Meisterbrief ging Stollnberger noch einmal in sich, um sich über seinen zukünftigen Weg klar zu werden: „Ich hatte mehrere Möglichkeiten. Durch meine wirtschaftspädagogische Ausbildung wäre auch eine Tätigkeit im Bildungsbereich durchaus in Frage gekommen. Das Unterrichten hat mir auch immer Spaß gemacht.“ Nach reiflicher Überlegung stand aber für ihn fest: „Ich möchte mir den Traum eines Modesalons erfüllen.“
Mit einem Netzwerk zum Unternehmenskonzept
Der frischgebackene Meister durchforstete sein Netzwerk nach Personen, die ihm dabei helfen konnten, seine Ideen zu strukturieren und ein Konzept zu erstellen: Marketing, Vertrieb, Kundengewinnung, Marktauftritt, Kommunikation und vieles mehr wurden gemeinsam in zahlreichen Brainstorming Meetings durchdacht, strategisch geplant und nahmen mit konkreten Maßnahmen reale Formen an. Stollnbergers Ziel: „Ich will mich in Wien als Modemacher positionieren, die Tradition und den qualitativen Anspruch wieder aufleben lassen und das wunderbare Handwerk auch für meine Kunden erlebbar machen.“
Wo man Andreas Stollnberger künftig bei der Arbeit auf die Finger schauen kann, ist noch offen, denn: Aktuell – besser gesagt, zum Zeitpunkt der Erstellung dieses Artikels – ist Andreas Stollnberger auf der Suche nach der passenden Location für seinen zukünftigen Modesalon. „Ich habe schon einige Objekte besichtigt, darunter einen Favoriten, der sich sehr gut für mein Vorhaben eignen würde.“ Die Vorbereitung für seinen neuen beruflichen Weg laufen also auf Hochtouren, denn Mitte des Jahres will Stollnberger mit seinem Modesalon durchstarten. Man darf also gespannt sein auf den neuen Wiener Modemacher!
Neugierig auf die Kreationen von Andreas Stollnberger? Stöbern Sie auf der Webseite des Ateliers!
Hier ein Blick auf eine Brautkreation (Fotos: Traumfabrik Graz, Reinhard Fürstberger, Norbert Widler)